Einfach Anne: Liebe & Lust – haben wir das Thema totgeredet?


Familie
7/05/2019
Das Thema Sex ist in den Medien omnipräsent. Doch läuft es dadurch nicht Gefahr, verramscht zu werden? Das fragt sich auch Anne Vogd in ihrer sehr unterhaltsamen Kolumne.

Liebe Lust, wir müssen reden! Warum bekomme ich bei diesem Thema immer Kopfschmerzen – sozusagen Muskelkater vom Nachdenken, obwohl das Thema Sex in den Medien doch omnipräsent ist und man somit einen entspannten Umgang damit haben sollte?

Allein das Wort Sex geht mir schon so schwer über die Lippen, dass ich es am liebsten durch „körperlich diskutieren“ ersetzen würde. Aber bitte halten Sie mich deshalb jetzt nicht für prüde: Ich würde meine Always Discreet Einlagen an der Supermarktkasse niemals verschämt unter einen Salatkopf drapieren wie einst Ingolf Lück im Kultwerbespot gegen Aids aus dem Jahr 1989. Darin schob er seine Kondome unter eine Porreestange, worauf die Kassiererin, gespielt von Hella von Sinnen, das Päckchen herausfischte und über drei Kassen rief: „Tina, wat kosten die Kondome?“. Alle guckten.

Meine Schamgrenze ist überschritten

Dennoch gerate ich bei der Thematik Sex schnell an meine Grenzen – um genauer zu sein, an meine Schamgrenzen. Dabei hört und liest man doch so viel über Sex. Sexratgeber wie „Die Top-100 der besten Stellungen für ihn“ und „Die Top-100 der besten Ausreden für sie“ gibt es tonnenweise. Dann der ganze autoerotische Kram, mit dem bei vollem Körpereinsatz hantiert wird, neuerdings immer beliebter in Softeisfarben – als hätte sich der Hersteller beim Hutmacher des Britischen Königshauses Farbideen geholt. Und im Internet gibt es zig Foren, die sich mit sexuellen Vorlieben beschäftigen. Würden Sie mich nach meinen fragen, müsste ich schlicht antworten: Wenn es losgeht, will ich mitmachen. Punkt. Soll ich Ihnen mal meine verwegenste Fantasie verraten? Sie ploppt immer am Wochenende in mir hoch und lautet: In allen möglichen Stellungen …. ausschlafen.

Vom Thema Sex sexuell belästigt fühlen

Es macht mich ja selber nervös, dass ich nicht pornös veranlagt bin. Und nicht nur das. Vielleicht fühle ich mich vom Sex sogar schon ein bisschen sexuell belästigt. In Zeitschriften, im Fernsehen und im Internet: Immer und überall wird über Sex geredet und diskutiert. Das erinnert mich manchmal an das Vermarkten einer Postenware beim Discounter. Der Sex läuft Gefahr, verramscht zu werden. Die Vehemenz, mit der er in unser tägliches Leben gepusht wird, hat auf mich mittlerweile die Wirkung eines Verhütungsmittels. Als neulich wieder einmal eine Frauenzeitschrift mit einem 20-seitigen Dossier über Sex um die Leserschaft buhlte, habe ich nur gedacht: Man könnte meinen, ihr hattet noch nie einen warmen Toast mit kalter Butter und dick Nutella drauf.

Sex ist doch kein Leistungssport

Sex ist zusammen mit Zärtlichkeit die intimste Sprache zwischen zwei Menschen. Das ist doch etwas Kostbares, das man nicht nach dem Motto „öfter, länger, verrückter“ wie einen Leistungssport angehen sollte.

Und Sex ist etwas sehr Individuelles. Wie ein erfülltes Sexleben aussieht, muss jeder für sich selber definieren. Ich zum Beispiel musste immer ansatzweise verliebt sein, um intim werden zu können. Ein Mann, der nur bereit war, seine Hose und nicht sein Herz zu öffnen, hat mich nie interessiert.

Der Sex entwickelt sich im Laufe der Jahre

Und last but noch least: Sex unterliegt, wie vieles im Leben, einer Entwicklung. Es ist eine der größten Lügen unserer Zeit, dass sich Sexualität und die Lustempfinden darauf mit zunehmenden Alter nicht verändern. Frauen wollen irgendwann weniger, was dazu führt, dass Männer sich irgendwann notorisch unterbelästigt fühlen. Das sagen zumindest einige Studien. Ich glaube das auch. Sonst gäbe es Anekdoten wie diese ja gar nicht: Ein Mann schleicht sich vorsichtig ins Bett und flüstert seiner Frau ins Ohr „Ich bin ohne Unterhose“, worauf die Frau antwortet: „Morgen wasche ich dir eine“.

Ich sehe Sex mittlerweile so wie er sein soll: als eine Option, frei von einer öffentlichen Erwartungshaltung. Es ist eine Art erotische Gelassenheit, die da aus mir spricht und glauben Sie mir, Sex so souverän sehen zu können, ist ein verdammt geiles Gefühl.

Unsere Kolumnistin, Anne Vogd, (52), ist verheiratet und hat eine Tochter. Sie arbeitete 25 Jahre im Vertrieb einer Modefirma, wollte sich 2013 aber radikal verändern und ist seitdem als Comedian auf Karnevalssitzungen und anderen Veranstaltungen unterwegs. 2016 gewann sie den SWR3 Comedy Förderpreis. Heute schreibt sie zusätzlich Kolumnen in Tageszeitungen und ist regelmäßig im Radio zu hören.

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Ich hab's auch nicht immer leicht mit mir“ ist der Titel des ersten Buches unserer Kolumnistin. Es beschreibt, wie man den kleinen und großen Krisen des Alltags mit einer guten Portion Humor und Improvisationstalent begegnen sollte, denn: Wer immer versagt, ist auch zuverlässig. Ullstein Verlag, 300 Seiten, 10 Euro.