Einfach Anne: Festessen und Familienkrise


Familie
2/04/2019
Das Schöne am Advent ist für unsere Kolumnistin, dass sie nicht bügeln kann, weil alle Steckdosen mit Lichterketten belegt sind. Das nicht so Schöne: der Gedanke an das Festessen.

Die Essensvorbereitungen sind jedes Jahr eine Herausforderung für die gesamte Familie. Als ich letztes Jahr genervt zu meinem Mann sagte: „Dieses Jahr kümmerst du dich aber um die blöde Gans“, antwortete er nüchtern: „Wieso, ist doch deine Mutter.“ Frechheit!

Ansonsten ist er aber einer der pflegeleichteren Genießer, wenn es um das große Festessen geht. Meine Tochter ist da schon komplizierter. Sie verlangte letztes Jahr für die Adventszeit plötzlich keine Zimtsterne mehr, sondern glutenfreie Vollkorn-Hirse-Kekssubstitute. Das Ergebnis meiner Bemühungen: Wir hatten noch nie so robuste Wurfsterne. Ich habe daraufhin Lebkuchen beim Discounter gekauft und zwar bei dem, bei dem die Vorweihnachtszeit für gewöhnlich im Auguzember beginnt. War aber auch wieder nicht richtig. Beim Anblick der Backwaren fiel ihr vor Schrecken der Spekulatius ins Planschbecken. Ich hatte mich wohl wieder mal verspekuliert

Heute isst man nicht mehr – man ernährt sich

Für das große Familienessen am ersten Weihnachtstag hatte meine Tochter dann ein Brokkoli-Quinoa-Carpaccio per WhatsApp in Auftrag gegeben. Ihr Argument: „Kein Fleisch, ich bin doch kein Friedhof für tote Tiere“. Die Reaktion ihres Vaters, ebenfalls per WhatsApp: „Wir essen wie immer Kartoffelsalat mit Würstchen. Wenn Madame Grünzeug will, soll sie doch den Baum essen“. Meine Reaktion: Mama hat die Gruppe verlassen.

Man kann es an einem solchen Tag einfach keinem recht machen. Meine Schwester ist ebenfalls Vegetarierin und zwar eine sehr gewissenhafte: Sie trinkt noch nicht einmal Leitungswasser, weil es aus dem Hahn kommt. 

Der Feind in meinem Mund

Ich bevorzuge Bioprodukte, während Tante Ria letztes Jahr schimpfte: „Bio? Also, ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich gerne alles zu mir nehme, was Konservierungsstoffe hat.“ 

Auch schätze ich eine jede Art von Lebensmitteldeklaration. Man möchte doch wissen, wo etwas herkommt. Onkel Hugo aber verließ wortlos den Tisch, als ich die Seelachsfilets anpries, auf deren Packung stand „gefangen im Ochotskischen Meer (Ostsibirien)“. Konnte ich wissen, dass er dort als Gefreiter der Marine zwei Jahre in Kriegsgefangenschaft verbracht hatte? 

Ich liebe Tiramisu, während Tante Irmgard ihren Teller nicht anrührte. Sie hat Zucker. Sie schob ihn Richtung Enkelkinder, damit die es irgendwann genauso gut haben wie sie. 

Ich war einem Nervenzusammenbruch näher als meinen eigenen Innereien. Als ich dieses Jahr glaubte, eine geschickte Lösung gefunden zu haben, indem ich verkündete, dass es anstelle eines mehrgängigen Mittagessens einen unkomplizierten Brunch geben würde, kam die erste Reaktion von Opa: Brunchen ist wie Essen, nur zu einer blöden Uhrzeit. Was nun? Gut, dass mein Fairy Original Ultra Plus Konzentrat nicht bockt – das macht einfach alles sauber, egal, ob in der Pfanne vorher ein Schweinsbraten oder Gemüsetaler gebraten wurden.

 

7582-Anne-Vogd-BubbleUnsere Kolumnistin, Anne Vogd, (52), ist verheiratet und hat eine Tochter. Sie arbeitete 25 Jahre im Vertrieb einer Modefirma, wollte sich 2013 aber radikal verändern und ist seitdem als Comedian auf Karnevalssitzungen und anderen Veranstaltungen unterwegs. 2016 gewann sie den SWR3 Comedy Förderpreis. Heute schreibt sie zusätzlich Kolumnen in Tageszeitungen und ist regelmäßig im Radio zu hören.