„Am besten ist nie einer krank“
Was macht ihr am liebsten zusammen?
Fahrradfahren! Und Spazierengehen, am Kanal rumsitzen. Dann Sport, Titus hat viele Sport-AGs. Bei gutem Wetter schwimmen, klar. Wir verbringen viel Zeit draußen. Noch machen wir viel zusammen, aber ich denke, der Tag kommt, wo mein Sohn sagt: „Ich mach das jetzt alleine.“
Zum Kanal geht es hinter dem Haus entlang, ein Stück durch den Wald, dann sind sie da. Er verbindet das Ruhrgebiet mit dem Hafen von Münster, ist schnurgerade in die Landschaft geschnitten, eine Wasserstraße mit leicht grünem Wasser, stets frisch wegen der Strömung. Sie suchen sich ein Plätzchen, breiten eine Decke aus und setzen sich. Titus stellt sich an den Rand, eine harte Kante aus Stahl, zögert, schaut fragend seine Mutter an, nimmt Anlauf und springt. Taucht prustend auf, schwimmt an den Rand. Sie reicht ihm die Hände, zieht ihren tropfenden Jungen aus dem Wasser, schmiegt ihn an sich. „Oh, jetzt ist deine Hose nass!“, sagt er. „Das macht nichts, mein Hase“, sagt seine Mutter. Gestern hat er während seines Schwimmunterrichts das Seepferdchen-Abzeichen geschafft: Sprung vom Beckenrand, dann 25 Meter einmal durch das Becken schwimmen; dazu Tauchen mit Festhalten an der Stange. Er ist kaum trocken, da will er noch mal springen. Und noch einmal! Die beiden diskutieren. Dann gehen sie ein kurzes Stück den Kanal abwärts, wo eine Leiter ins Wasser führt und Kinder unter Gekreische und Gelächter fortlaufend ins Wasser springen, und Titus schließt sich ihnen eine Zeitlang an.
Julia, erzähl mal, was du arbeitest.
Ich bin medizinische Fachangestellte, auf 20 bis 25 Stunden-Basis. Bisher fing ich morgens um acht oder halb neun an, je nachdem wie ich das mit Titus so hinbekam, jetzt mit der Schule wird es so sein, dass ich um acht Uhr anfange. Ich arbeite in der Gynäkologie, hier in Münster-Hiltrup, und das klappt eigentlich ganz gut.
Was ist ein guter Tag für dich?
Ein guter Tag ist, wenn wir gesund sind und fit in den Tag starten können. Alles so klappt, wie man sich das vorstellt, keiner krank ist – das ist eigentlich ein guter Tag.
Krank heißt: Der Rhythmus geht durcheinander, man muss sich umstellen?
Genau! Wenn Titus jetzt krank wäre, dann könnte ich nicht arbeiten gehen, dann müsste ich mir schon wieder etwas überlegen für den Tag, was immer etwas kompliziert oder schwierig wäre. Damit alles läuft und alles klappt, ist am besten nie einer krank.
Die Familie Thielker ist zu zweit. Über den Kindsvater sagt Julia Thielker nur: „Den gibt es nicht.“ Sie haben eine Wohnung in einem Einzelhaus unter dessen Dach, in einer ruhigen Seitenstraße. Die Küche ist gleichzeitig Titus Spielzimmer. Sie teilen sich das Schlafzimmer. Bisher geht das ganz gut. Wenn es nicht mehr gehen sollte, wird Julia ihr Bett im Wohnzimmer aufstellen, da werde sich schon eine Lösung finden. Da sie nur halbtags arbeiten kann, zahlt ihr das Amt nach SGB II. einen monatlichen Mietkostenzuschuss von 150 Euro. Dafür darf die Wohnung eine bestimmte Größe nicht überschreiten. Vor drei Tagen sind zwei Meerschweinchen dazugekommen, der Sohn einer Kollegin ging mit den Tieren nur unsanft um, da nahm sich Julia ihrer an und brachte sie mit.
Eigentlich hat Titus eine Gras- und Wiesenallergie, was die Versorgung der Tiere etwas schwieriger macht. Aber bisher ist alles gutgegangen, nichts juckt, und er freut sich an den wuscheligen Tieren, die sich geduldig streicheln lassen.
Wenn du morgens aufwachst, was sind deine ersten Gedanken?
Wie gut, dass wir beide atmen. Ja, das ist wirklich so. Eigentlich habe ich nicht so große Erwartungen. Ich freue mich, wenn es Titus gut geht und wenn wir alles organisiert bekommen. Meistens packen wir die Sachen alle am Abend vorher, die Schulsachen, die Klamotten, die man so braucht. Alles wird vorher organisiert und dann starten wir eigentlich ganz munter in den Tag.
Was sind die größten Vorurteile gegenüber Alleinerziehenden?
An erster Stelle tatsächlich, ob man zuverlässig ist und pünktlich; ob alles wie geplant klappt. Man sagt ja, mit Kindern ist man nicht so flexibel, die trödeln doch morgens. Ja, ich glaube, das ist das größte Vorurteil gegenüber einer Alleinerziehenden.
Ist das Geld manchmal knapp?
Manchmal schon. Wir haben Versicherungen zu zahlen wie andere Familien auch, klar. Und wenn das eine oder andere kaputt geht, womit man nicht rechnet, dann ist das Geld auch knapp.
Kriegt man da im Laufe der Zeit ein dickes Fell oder erwischt es einen immer wieder?
Dickes Fell, wenn es finanziell schwierig wird? Also ich nicht! Das erwischt einen dann tatsächlich immer wieder aufs Neue.
Ein kurzer Ausflug, es geht rüber auf die andere Seite des Viertels, wo der Bahnhof ist und die langgezogene, von Geschäften gesäumte Marktallee. Geld abheben, einkaufen, was noch fehlt, ein Eis essen gehen – Julia Thielker hat früher in der Gastronomie gearbeitet, sie trifft noch immer ehemalige Gäste, grüßt, bleibt stehen, fragt wie es so geht. Gleich um die Ecke ist ihr Arbeitsplatz, nicht weit davon entfernt dann Titus‘ Schule, eine katholische Grundschule, die er seit September besucht und dessen Gelände er schon kannte, weil sie eine Sporthalle hat, in der er nachmittags oft ist. Von der Strecke her könnte er allein das Fahrrad nehmen. Doch sich als Erstklässler morgens durch den Verkehr schlagen, wo alles noch so neu ist für ihn und noch nicht selbstverständlich? Also bringt sie ihn morgens. Und holt ihn nach der Schule ab. Noch.
Wo holst du dir Unterstützung?
Ich bekomme Unterstützung vom Job-Center. Da ich nur halbtags arbeite, gibt es für Titus Unterstützung bei der Mittagsbetreuung. Titus bekommt die Münsterlandkarte, das heißt, ihm wird das Mittagessen bezahlt. Und er kann zur Musikschule gehen, zum Sport, dafür hat man Bonuspunkte, dass man sich das auch erlauben kann. Man muss nur einen monatlichen Obolus von zehn Euro dazu bezahlen. Und wenn man selbst was unternehmen möchte wie ins Kino gehen, da gibt es Rabattkarten, die man einlösen kann. Also, gibt schon ganz gute Hilfen. Aber – ich informiere mich auch, von mir aus.
Wenn du dir etwas wünschen könntest, was euer Leben leichter machen würde, was wäre das?
Mehr Geld! Ganz klar.
Einen höheren Lohn?
Einen höheren Lohn, ja. Und man könnte hier im Ort mehr für die Kinderbetreuung machen, dass die Betreuung auch nach der Schule noch besteht, weil man ja nicht immer mittags pünktlich Schluss machen kann. Wobei es ja noch relativ neu ist, dass Titus zur Schule geht, da weiß ich noch nicht, wie das alles genau funktioniert. Ich denke, da gibt es noch irgendwelche Wege, die wir finden werden.
Und im Privaten?
Im Privaten sind das tatsächlich meine Eltern, die mir sehr helfen, die auch hier im gleichen Ort wohnen, deswegen bin ich auch nach Münster zurückgekommen. Weil es einfach praktisch ist, wenn man nicht nur den Arbeitsplatz und die Schule in der Nähe hat, sondern die Eltern tatsächlich da sind und auch mal einspringen. Sie springen sehr oft ein, kommen abends zum Abendessen, so dass wir dann zusammen als Familie Zeit verbringen.
Ihre Mutter arbeitet noch, Vollzeit. Ihr Vater ist berentet. Sie haben Kartoffelsalat mitgebracht. Titus zeigt immer wieder stolz sein Schwimmabzeichen vor, ein orangenes Seepferdchen auf einem Stück Stoff, das noch ausgeschnitten und aufgenäht werden muss. Dann wird gegessen. Sie unterhalten sich über den Tag, was so war und was sie in den nächsten Tagen jeweils vorhaben, Sachen auf einem Flohmarkt verkaufen, etwa. Immer wieder kehrt das Gespräch zu Titus zurück und was er für eine Wasserratte geworden ist und wie mutig er heute sei, einfach in den Kanal zu springen, wo man nicht mal stehen kann! Dabei war er früher so was von wasserscheu, wollte nicht mal duschen! Zum Abschluss wollen sie noch etwas spielen, das machen sie öfter, und sie einigen sich auf eine Partie „Mensch-ärgere-dich-nicht“.
Wenn Titus abends schläft, du nebenan im Wohnzimmer sitzt, was geht dir dann durch den Kopf?
Ehrlich gesagt, nicht mehr so viel. Ich bin dann sehr froh, dass ich hier sitze, ein bisschen Fernsehen gucke, meine Woche gut geplant habe, das wars eigentlich. Ich entspanne dann, gucke ins Handy, wie es jeder macht, beantworte WhatsApp-Nachrichten, telefoniere mit meiner Cousine in München, die auch Titus‘ Patentante ist, solche Sachen, nichts bestimmtes mehr.
Titus hat seinen „Schlafi“ angezogen, sein Schlafzeug, eine kurze Hose, dazu ein weites, bequemes T-Shirt. Er liegt zum Abschluss des Tages mit angewinkelten Knieen auf dem tiefen Sofa und lässt die bunten Bilder, die lauten Stimmen und das Getöse der Comic-Helden an sich vorbeiziehen. Gleich geht es ins Bett, die Jalousien sind schon heruntergezogen. Morgen wartet ein neuer Morgen und ein neuer Tag auf die beiden, und morgen Nachmittag geht es ins Schwimmbad, das Abzeichen auf die Badehose genäht, das ist versprochen. Seine Mutter legt sich zu ihm.
In article banner will be displayed here